die_jugendforscherin: Beate Großeggers Blog
Ich bin Jahrgang 1966. Das heißt, ich falle nicht mehr in die werberelevante Zielgruppe, die in Medien und Marketing gängigerweise mit 14 bis 49 Jahren umrissen wird. Ich gehöre zur Gruppe der sogenannten Best Agers. Der Begriff „Best Agers“ klingt charmant. Er suggeriert: Hier geht es um Menschen in bestem Alter – Menschen, die (noch) aktiv sind und in Gemeinschaft und Gesellschaft vielfältige Verantwortungsrollen übernehmen.
Nach Maßstäben unserer juvenilen Lifestylegesellschaft sind diese Best Agers aber eben nicht mehr wirklich werberelevant. Auch diese Botschaft vermittelt die Zielgruppendefinition „Best Agers“ deutlich. Und auch am Arbeitsmarkt bilden Best Agers eine Sondergruppe: Mit 50, spätestens aber mit 55 gilt man bekanntermaßen als schwer vermittelbar. Dass dem so ist, hat Studierende, mit denen ich unlängst zum Thema „Altersgruppendefinitionen in der Sozialforschung und Dialoggruppenkommunikation“ arbeitete, sehr irritiert. Sie sahen mich an und wollten von mir wissen, „warum man die Best Agers ignoriert“. Eine gute Frage.
Tatsächlich ist es ja so, dass wir über Menschen in ihren angeblich besten Jahren auch von Seiten der Forschung eher wenig wissen. Diese Einsicht war Startpunkt, um in unserem Generationenschwerpunkt zur Abwechslung einmal nicht die Jungen, sondern die wenig beachtete Dialoggruppe der Best Agers ins Blickfeld zu nehmen.
Mobilität, Konsum und freizeitorientierte Mediennutzung: Wie Best Agers ihren Alltag gestalten
Unsere Daten zeigen eines sehr deutlich: Best Agers positionieren sich in der juvenilen Lifestylegesellschaft anders als die werberelevante Zielgruppe, aber sie positionieren sich zugleich auch selbstbewusst:
- Sie sind weniger konsumfreudig als jüngere Bevölkerungsgruppen.
- Aber ansonsten pfeifen die „neuen Alten“ großteils auf die in Bezug auf ältere Bevölkerungsgruppen zirkulierenden Klischees.
Um ein paar ausgewählte Ergebnisse unseres Best Ager-Specials herauszugreifen (sämtliche Detailergebnisse finden Sie im Studienpaket Best Ager-Special: Mobilität, Konsum, Medien, Freizeit: 50- bis 75-Jährige und werberelevante Zielgruppe im Vergleich):
- 42% der Männer aus der Gruppe der Best Agers haben einen Motorradführerschein. In jungen Jahren kokettierte so mancher von ihnen mit dem Lebensgefühl der Easy Rider. Heute fährt freilich nur mehr ein kleiner Teil Motorrad. Der Zeitgeist der „Generation Easy Rider“ ist vielen als Jugenderinnerung aber nach wie vor präsent. Aktuell hat im Mobilitätsverhalten der Best Agers der PKW einen Fixplatz: 3 von 4 Best Agers besitzen ein Auto. 9 von 10 Best Agers haben einen PKW-Führerschein. In ihrer aktuellen Lebenssituation bevorzugen Best Agers unkomplizierte und preisgünstige Fortbewegungsmittel. Und sie legen Wert darauf, in Sachen Mobilität unabhängig zu sein.
- In ihrem Konsumverhalten geben sich Best Agers im Vergleich zur werberelevanten Zielgruppe deutlich zurückhaltender. Am meisten geben sie für Mobilität und Urlaubsreisen aus. Urlaub gilt freilich nicht für alle. 3 von 10 Best Agers (30%) fahren nie auf Urlaub. Und auch mit dem Sparen ist das in höherem Lebensalter so eine Sache. Wie unsere generationlab-Studie Wie wir leben wollen zeigt, führen 6 von 10 Menschen im Ruhestand ein eher bescheidenes Leben. Von der Pension Geld zum Ansparen zurückzulegen, das spielt sich bei vielen nicht. Und dies gilt teils auch für Menschen, die erst auf die Pension zusteuern. Im Best-Ager-Segment der 50- bis 75-Jährigen geben jedenfalls lediglich 24% an, viel zu sparen.
- Eine deutliche Bruchlinie zwischen Best Agers und werberelevanter Zielgruppe zeigt sich vor allem aber auch in der Mediennutzung: Lineares Fernsehen hat bei Best Agers einen höheren Stellenwert als in der werberelevanten Zielgruppe. Und öffentlich-rechtliche Angebote sind dabei gut positioniert. Digitale Angebote spielen in der freizeitorientierten Mediennutzung bei einem Gutteil der „neuen Alten“ hingegen nach wie vor kaum eine Rolle. Die überwiegende Mehrheit der Best Agers gibt für Computer- und Videospiele, kostenpflichtige Downloads oder Streamingdienste überhaupt nichts aus.
- Und wie „ticken“ Best Agers in Sachen Social Media? Hier gilt: Facebook ist okay. Instagram und TikTok sind hingegen nach wie vor großteils Fremdland (PDF-Download: TV- und Social-Media-Nutzung: Best Agers und werberelevante Zielgruppe im Vergleich). Dennoch lassen sich Best Agers nicht so einfach auf „Medien für die ältere Generation“ festlegen. Hörbücher, die gerne als zeitgemäßes Freizeitangebot für Seniorinnen und Senioren angepriesen werden, werden von 70% der befragten Best Agers beispielsweise überhaupt nicht genutzt.
Best Agers denken und arbeiten anders
Best Agers konsumieren anders als jüngere Bevölkerungsgruppen. Und sie denken und arbeiten auch anders, wie Martin Korte, Neurowissenschaftler und Autor des Buches „Jung im Kopf. Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden“, betont. Das Leben verändert sich, Prioritäten verschieben sich und auch das Gehirn verändert sich, so Korte. Entgegen gängiger Klischees allerdings nicht nur zum Schlechteren.
Mit dem Alter nimmt zwar die Reaktionsfähigkeit und insgesamt die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung ab – deshalb sagen Menschen jenseits der 50 auch so oft, dass sie nicht (mehr) multitaskingfähig sind. Mit zunehmendem Alter kann man aber „aufgrund seiner Lebenserfahrung in fast allen Situationen auf einen Erfahrungsschatz zurückgreifen, der es einem erlaubt, selbst bei schlechter ‚Faktenbeleuchtung‘ sicher einen guten Lösungsansatz zu unterbreiten“, schreibt Korte. Dass dies in der Arbeitswelt von unschätzbarem Wert ist, braucht man kaum eigens zu betonen.
Die Forschung zum Thema spricht eine klare Sprache: Mit der Berufserfahrung steigt nicht nur das berufsfeldbezogene Faktenwissen, sondern vor allem auch das Strategiewissen. Arbeitskräfte aus dem Best-Ager-Segment sind daher besser darin, Prioritären zu setzen, als junge Menschen. Und sie zeigen generell auch größere Problemlösungskompetenz. Zudem sind sie, wie Martin Korte betont, in der Lage, auch und gerade in komplexen Situationen gute Entscheidungen zu treffen, was jüngere Erwerbsbeteiligte vielfach (noch) überfordert.
Würde dies in der Arbeitswelt stärker wahrgenommen werden, hätten Best Agers eine bessere Arbeitsmarktposition und damit zugleich auch bessere Chancen, bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter im Erwerbsleben zu bleiben. Und gleichzeitig hätte man in der Wirtschaft das Problem fehlender Fachkräfte und mangelnder Leistungsträger vermutlich zum Teil gelöst.
Meine Studierenden haben mich nachdenklich gemacht
In der Arbeitswelt gilt man heute mit 50 als alt. Nein, vielleicht sollte man besser sagen: Man gilt oft als zu alt. Schade. Ich glaube, wir müssen umdenken. Wir müssen sehen und wertschätzen, was ältere Erwerbsteilnehmerinnen und Erwerbsteilnehmer leisten.
Und wir sollten wohl auch darüber nachdenken, welche Rahmenbedingungen es braucht, damit Best Agers über das gesetzliche Pensionsantrittsalter hinaus einen Beitrag leisten können und wollen: etwa indem sie sich daran beteiligen, die nachrückende Erwerbsgeneration fachlich wie auch menschlich für die berufliche Zukunft aufzubauen und/oder indem sie ihre berufsfachliche Expertise weiterhin in den Wertschöpfungsprozess einbringen.
Gleichzeitig müssen wir aber auch anerkennen, was junge Menschen an Potentialen und frischer Energie ins Berufsleben einbringen. Wir werden in der Arbeitswelt zukünftig nämlich beide brauchen: die Jungen und die Alten.
AUTORINNEN-INFO: Dr. Beate Großegger – Institut für Jugendkulturforschung
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Lektüre-Tipp: Korte, Martin: Jung im Kopf. Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden, München: Pantheon Verlag, 2014 (Worin wir mit steigendem Alter besser werden und wo wir schlechter werden, lesen Sie übrigens auf Seite 28.)
Studien-Tipp: Best-Agers-Special
Foto: Pixaby