die_jugendforscherin: Beate Großeggers Blog
Wenn man mit jungen Menschen arbeitet, lernt man immer etwas dazu. Zumindest mir geht das so. Für mich, die ich mich mit knapp dreißigjähriger Forschungserfahrung und der richtigen Dosis Selbstironie ab und an gerne als die „alte Dame der Jugendforschung“ bezeichne, war eigentlich immer klar, dass Engagement aktiv zu denken ist. Bis zu dem Punkt, als mir Jugendliche erklärten, dass ich damit nicht wirklich richtig liege.
Das hat mich doch ein klein wenig verblüfft. Dass Jugendliche die Debatte, die wir Erwachsene rund um die (mangelnde) Engagementbereitschaft junger Menschen führen, sehr oft „nervig“ finden, schien mir hingegen naheliegend. Doch alles der Reihe nach.
Was wir aus der Engagement- und Werteforschung wissen
Das Engagement Jugendlicher ist ein ewiges Streitthema. Den einen ist die Jugend zu ichbezogen und tellerrandfixiert, andere verweisen hingegen darauf, dass junge Menschen durchaus für ehrenamtliches Engagement zu begeistern sind und in der Freiwilligenarbeit wichtige Beiträge für die Gemeinschaft und die Gesellschaft leisten.
Wie Forschungsdaten zeigen, haben Burschen und junge Männer beim institutionellen Engagement die Nase vorne. Das heißt, sie engagieren sich in Organisationen. Mädchen und junge Frauen sind hingegen auch und gerade in Bereichen des informellen und individualisierten Engagements aktiv. Sie setzen sich individuell und ohne großen organisatorischen Background für Anliegen, die ihnen wichtig sind, ein und bieten, oft unbemerkt von der am Thema „Engagement“ interessierten Öffentlichkeit, Hilfestellung für Menschen im nahen persönlichen Umfeld, beispielsweise in Form von Nachbarschaftshilfe.
Unterschiede in der Haltung wie auch in den Ausdrucksformen, in denen sich das Engagement junger Menschen artikuliert, zeigen sich aber nicht nur im Vergleich der Geschlechter, sondern auch im Vergleich junger Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Jugendliche mit Migrationshintergrund werden von klassischen Ehrenamtsorganisationen beispielsweise schlechter erreicht als Jugendliche, die aus Familien stammen, welche über Generationen hinweg in Österreich ansässig sind, sie agieren in gemeinschaftlichen Bezügen aber oft sehr engagiert.
Eines gilt jedenfalls generell: Engagementformen und Engagementangebote verändern sich über die Jahre hinweg. Und das betrifft nicht nur den aktionistisch orientierten Protest. Von Freiwilligenorganisationen, aber auch von Seiten der politischen Jugendbeteiligung wird hier vielfach auf die wachsende Bedeutung des Online-Engagements Jugendlicher verwiesen. Und junge Menschen integrieren Online-Engagement heute tatsächlich mit großer Selbstverständlichkeit in ihre Engagementkulturen.
Interessant ist allerdings, dass sie Online-Engagement weitaus weniger euphorisch einschätzen als es die Debatte, die wir Erwachsene führen, vermuten lässt, und zwar aus einem gut nachvollziehbaren Grund, der in der Engagementforschung, wie ich finde, viel zu wenig berücksichtigt wird: aufgrund der aus ihrer Sicht fraglichen Effektivität.
Engagement differenziert nach Wirkungsgrad
In der Forschung differenziert man gemeinhin nach Engagementthemen und/oder dem Organisationsgrad, in dem Engagement stattfindet (organisierter Rahmen versus informelles Engagement bzw. institutioneller Rahmen versus individualisiertes Engagement). Ich halte das für wichtig und auch für interessant. Dennoch fehlt mir bei dieser gängigen Analyseperspektive ein Aspekt, den ich für das Verständnis des Engagements Jugendlicher zentral erachte: die Berücksichtigung der für junge Menschen motivational enorm wichtigen Frage „Was kann ich mit meinem Engagement überhaupt bewirken?“
Wir wissen aus der Forschung, dass grundsätzlich engagementbereite Jugendliche vor allem dann aktiv werden, wenn sie mit ihrem Engagement in überschaubarer Zeit einen konkreten, nach außen hin sichtbaren und in Bezug auf ihre thematischen Anliegen bzw. die ihnen wichtigen Adressat*innengruppen positiv spürbaren Effekt generieren. Junge Menschen „ticken“ in dieser Hinsicht durchaus sehr output-orientiert.
So gesehen macht es Sinn, die gängige Analyseperspektive zu ergänzen und sich näher anzusehen, welchen Wirkungsgrad junge Menschen mit unterschiedlichen Engagementangeboten verbinden.
In unserer Eigenstudie „Generation Nice“ haben wir dazu einen ersten Schritt getan. Uns hat interessiert, mit welchen Partizipations- und Protestformen junge Menschen Selbstwirksamkeit verbinden bzw. welche Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements sie bevorzugt wählen würden, um etwas zu bewegen, gegen Missstände anzugehen und/oder gesellschaftliche Entwicklungen in eine aus ihrer Sicht „richtige Richtung“ zu lenken.
„Ärmel aufkrempeln und die Welt zu einer besseren machen“ versus „auf Probleme hinweisen“
Wie sich zeigt, engagieren sich junge Menschen mit durchaus sehr unterschiedlichen Zielsetzungen und Motiven: um die Erwachsenenöffentlichkeit und/oder die Politik auf ein für sie wichtiges Anliegen aufmerksam zu machen, um mit eigener Initiative und mit teils hohem persönlichen Einsatz einen Beitrag für die positive Entwicklung unserer Gesellschaft zu leisten oder auch, um politisch Druck auszuüben und „die Politik zum Handeln zu zwingen“. Abhängig vom Motiv variieren, wie die Studie „Generation Nice“ deutlich macht, die bevorzugten Engagementformen.
Haben junge Menschen den Anspruch, auf die Politik Druck auszuüben und politische Entscheidungsträger*innen zum Handeln zu zwingen, bevorzugen sie Formate, die hohe Anschlussfähigkeit an die Institutionenpolitik garantieren, und bedienen sich vorzugsweise aus dem für Politiker*innen gewohnten Protest- und Beteiligungsrepertoire (Demonstrationen, Streiks, Wahlen). Immerhin rd. ein Drittel der 16- bis 29-Jährigen (32%) hält es grundsätzlich auch für sinnvoll, einer Partei beizutreten, um die Politik (quasi von innen heraus) zum Handeln zu bringen.
Setzen Jugendliche Initiativen hingegen vorrangig, um die Öffentlichkeit für Themen und Probleme, die jungen Menschen wichtig sind, zu sensibilisieren, liegt ihr Fokus also auf Thematisierung, bevorzugen sie Online-Aktivitäten, allem voran Online-Aktivitäten auf Social Media:
- 57 Prozent halten das Posten von Beiträgen oder Kommentaren auf Social Media für eine effektive Strategie, um auf ein Anliegen aufmerksam zu machen. 55 Prozent setzen auf Teilen und/oder Liken von Beiträgen auf Social Media.
- Online-Petitionen oder Online-Unterschriftenaktionen haben hier deutlich geringeren Stellenwert.
Stehen idealistische Motive des persönlichen Eingreifens im Vordergrund, ist die Einschätzung und Bewertung der Jugendlichen noch einmal eine andere. Geht es beispielsweise darum, selbst einen kleinen Beitrag zu leisten, um hilfebedürftige Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu unterstützen und die Welt damit ein bisschen besser zu machen, setzen junge Menschen vor allem auf Spenden und auf klassisches freiwilliges Engagement.
- 64 Prozent der 16- bis 29-jährigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen halten Sachspenden sowie 63 Prozent Geldspenden für geeignet, um einen Beitrag zu leisten, damit sich in der Welt etwas zum Besseren verändert.
- 62 Prozent meinen, mit ehrenamtlicher Mitarbeit in einer Organisation oder einem Verein lässt sich etwas zum Besseren verändern.
- Und immerhin 54 Prozent halten es für sinnvoll, gleich selbst ein Projekt zu starten.
Junge Menschen treffen dabei eine interessante Unterscheidung: Freiwilligenarbeit bedeutet für sie „aktives Helfen“, zumal hier ein hohes Maß an Bereitschaft zu Selbstverpflichtung gefordert ist. Spenden ist für sie hingegen „passives Helfen“ und auf jeden Fall besser als gar nichts zu tun.
Online-Engagement, also beispielsweise auf Social Media einen Beitrag zu posten, ihn zu teilen oder zu liken oder auch an Online-Unterschriftenaktion teilzunehmen, ist, wenn es darum geht, einen konkreten Missstand zu beseitigen und die Welt durch persönliches Engagement ein klein wenig besser zu machen, aus Sicht Jugendlicher hingegen weniger sinnvoll.
Willkommen in der Welt des „passiven Online-Engagements“
Für junge Menschen gilt: Online-Engagement ist zwar zeitgemäß, aber zugleich auch „passiv“, weil dabei der „große persönliche Einsatz“ fehlt. Sie unterscheiden demnach zwischen aktivem und passivem Engagement und bewerten Ersteres deutlich höher.
Online-Engagement erfordert wenig Selbstverpflichtung. Oder, um es charmanter zu formulieren: Online-Engagement ist niederschwellig. Digital Natives sehen das durchaus pragmatisch – frei nach dem Motto: „… auch gut, dass es Leute gibt, die das machen – ist manchmal auch das Einzige, was man tun kann …“ Aber das Ärmel Aufkrempeln und Helfen, das in ihrem Verständnis von „aktivem Engagement“ so wichtig ist, bleibt hier nun einmal aus.
Für digital sozialisierte Jugendliche gibt es aber auch noch einen weiteren guten Grund, warum man Online-Engagement auf Social Media nicht überbewerten sollte. Sie sprechen aus Erfahrung, wenn sie sagen: „Es ist einfach, es zu ignorieren – viele swipen einfach weiter …“ In einer von überhitzten Debatten geprägten digitalen Echtzeitwelt ist es tatsächlich gar nicht so einfach, in den Aufmerksamkeitshorizont anderer, idealerweise entscheidungsmächtiger Menschen zu treten. Jungen Digital Natives ist dies durchaus bewusst. Und hier schließt sich der Kreis und wir landen wieder bei der für junge Menschen motivational wichtigen Fragen: „Was kann ich mit meinem Engagement überhaupt bewegen?“
Übrigens: Jugendliche differenzieren nicht nur zwischen aktivem und passivem Engagement, sie sprechen auch von aktivem und passivem Aktivismus. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.
AUTORINNEN-INFO: Dr. Beate Großegger – Institut für Jugendkulturforschung
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Mehr über die Studie lesen Sie hier: Neue Jugendstudie: Generation Nice – Institut für Jugendkulturforschung
Mehr zum Thema „Jugend und Engagement“: Falls Sie sich dafür interessieren, wie man Jugendliche für Engagement gewinnen kann, finden Sie in einem meiner Beiträge im 8. Bericht zur Lage der Jugend in Österreich: Modul 2 – Lebenswelten und Werte auf Seite 245f die eine oder andere Anregung. Wir freuen uns, wenn Sie reinlesen!
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