die_jugendforscherin: beate großeggers blog – 20.5.2024

Die Generation ChatGPT ist verunsichert

Wenn es um digitale Technologien geht, haben Jugendliche die Nase vorn. Und das wissen sie auch. Als Digital Natives geben sie der digitalen Zukunft, auf die wir alle zusteuern, Form und Richtung, indem sie mit neuen Tools spielerisch umgehen und mit ihren experimentellen Medienpraxen vielfach bereits heute vorwegnehmen, was spätestens morgen state of the art ist.

Im Zeitalter der digitalen Mediatisierung hat die digital sozialisierte Jugend die Position von Change Agents besetzt. Zumindest war das bislang so. Doch die dynamischen Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) erschüttern das Selbstbewusstsein der jungen Digital Natives gerade enorm. Das zeigt sich allerdings nur, wenn man wirklich genauer hinsieht.

ChatGPT – das neue coole Ding

Jugendliche sind derzeit voll im Sog der sich rasant weiterentwickelnden KI-basierten Tools, insbesondere der Chatbots, wie beispielsweise ChatGPT. Die Generation Z hat ChatGPT bereits fest in ihren Alltag integriert. Sichtet man Forschungsdaten, wird deutlich, wie schnell der jugendliche Nutzer- und Nutzerinnenkreis in nur einem Jahr anstieg.

  • Die ARD-/ZDF-Onlinestudie 2023, deren Daten im März und April 2023 erhoben wurden, zeigt, dass zum Erhebungszeitpunkt 33% der 14- bis 29-Jährigen bereits Erfahrung mit neuartigen Chatbots wie ChatGPT gemacht hatten (bei den 50- bis 69-Jährigen waren es im Vergleich dazu nur 8%).
  • Die vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest (MPFS) durchgeführte JIM-Studie 2023, die zwischen Ende Mai und Anfang Juli 2023 12- bis 19-jährige Jugendliche in Deutschland zu ihrer Mediennutzung befragte, gibt für die untersuchte Altersgruppe 38%, die bereits Erfahrung mit ChatGPT gemacht haben, an (bei den Jungs ist der Anteil mit 44% etwas höher, bei den Mädchen liegt er bei 31%).
  • Ein gutes halbes Jahr später, im Dezember 2023, wurden die Daten des von saferinternet.at beauftragten österreichischen Jugend-Internet-Monitor erhoben. Diese Studie untersucht die Internet-Nutzung in der Altersgruppe der 11- bis 17-Jährigen und weist Ende des Jahres 2023 für diese Altersgruppe bereits 71% Chat-GPT-Nutzer und -Nutzerinnen aus.
  • Wenig später, im Jänner 2024, ging dann die von der deutschen Vodafone-Stiftung finanzierte Studie „Pioniere des Wandels. Wie Schüler:innen KI im Unterricht nutzen möchten“ ins Feld. Untersuchungsgruppe sind hier die 14- bis 20-Jährigen. Auch dieser Studie zufolge ist KI im Alltag der Jugendlichen mittlerweile voll angekommen. 74% der Befragten geben an, KI schon mal genutzt zu haben, lediglich rund ein Viertel (26%) hat KI-Systeme bislang weder im Unterricht noch privat ausprobiert. ChatGPT wird erwartungsgemäß am häufigsten genutzt.

Wie die Studie der Vodafone-Stiftung zeigt, wünschen sich Schüler und Schülerinnen beim Schreiben von Texten wie auch beim Lösen mathematischer Aufgaben Unterstützung von der KI. Viele würden die Aufgabenstellung vermutlich am liebsten gleich direkt an die KI auslagern.

Lernen mit ChatGPT

ChatGPT ist, wie wir in unserer Forschung sehen, bei Jugendlichen ein beliebtes Recherchetool und hat ganz ohne Zweifel das Potenzial, das klassische „Googeln“ abzulösen. Suchen von Informationen für Aufgabenstellungen im schulischen oder universitären Zusammenhang sowie Recherchieren von Begriffsdefinitionen und Erläuterungen sind populäre Anwendungsformen. ChatGPT wird von Jugendlichen aber auch zum Erstellen von Zusammenfassungen genutzt: vor allem dann, wenn es darum geht, einen besseren Überblick über ein neues Thema zu gewinnen. Und junge Menschen verwenden KI oft und gerne auch dort, wo sie selbst keine zündenden Ideen haben. Das heißt, ChatGPT ist hier in der Rolle, Tipps und Anregungen zu bieten.

Die Tatsache, dass junge Menschen der Versuchung, sich die Ausbildung etwas leichter zu machen (Schule, Uni), kaum widerstehen können und KI-Tools einsetzen, um sich Zeit und Energie, vor allem aber auch „Hirnschmalz“ zu sparen, also um sich weniger selbst erarbeiten zu müssen, führt dazu, dass man heute an höherbildenden Schulen und Unis über zeitgemäße Alternativen zur klassischen schriftlichen Arbeit nachdenkt.

Dem nicht genug: Pädagogen und Pädagoginnen, aber auch zukünftige Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen machen sich darüber Gedanken, was es letztendlich bedeutet, wenn eine ganze Generation ihre To-Dos an ChatGPT delegiert und dabei vielleicht das „Lernen lernen“ aufgibt, zumindest aber die Freude am Lernen bzw. am sich selbst (hart) erarbeiten verlernt.

Ich für meinen Teil sehe eine Gefahr darin, dass in einer Ära, in der ChatGPT und Co. Lehr-Lern-Zusammenhänge zu dominieren beginnen, konzeptuelles Denken nicht ausreichend Raum für Erprobung und Entfaltung haben könnte, aber auch, dass die Generation ChatGPT das Vertrauen in ihr eigenes kreatives Denken verlieren könnte, zumal diejenigen, die gelernt haben, sich auf ChatGPT zu verlassen, wenig Routine entwickeln, um kreative Problemlösungen selbst auf Schiene zu bringen.

Bemerkenswerterweise verbinden auch Jugendliche mit KI-Tools nicht nur Chancen. Sie sehen die für Lehrpläne Zuständigen gefordert. 50% wünschen sich laut Studie der Vodafone-Stiftung, dass der Umgang mit KI fester Bestandteil des Unterrichts wird. 46% der Befragten sind zudem daran interessiert, mehr über die mit KI verbundenen Gefahren sowie den richtigen Umgang mit KI zu lernen.

Dass KI unser Leben verändern wird, scheint schon mal klar

Junge Digital Natives beobachten die dynamischen Entwicklungen im Bereich der KI auf jeden Fall sehr aufmerksam. Sie fragen sich, was die Technologie mit uns macht. Und sie sind verunsichert, wie wir in Zukunft leben werden. Erstmals haben sie das Gefühl, das, was in der digitalen Gesellschaft abgeht, nicht richtig zu durchschauen.

Während IT-Experten vor „Schurken-KI“ warnen und von pro-aktiver Politik Maßnahmen zur Risikoregulierung fordern, reagieren Mädchen und junge Frauen vor allem in Bezug auf Deepfakes, die Bilder generierende KI ermöglicht, besorgt.

Das jugendliche Interesse, mit Technologie zu spielen und in der Freizeit spaßmäßig auszutesten, ist dennoch ungebrochen groß. Groß ist oft aber auch der Ärger darüber, dass die KI nicht immer das macht, was man möchte, und damit verbunden die Erkenntnis: „Auch als Digital Native steigt man bei KI nicht mehr durch.“ Für selbstbewusste Digital Natives ist dies, wie sie meist freimütig zugeben, ein echtes Aha-Moment. 

Verunsichert sind junge Menschen vor allem in der Frage, was KI für ihre zukünftigen Berufschancen bedeutet:

  • Bei den Lehrlingen glauben, wie unsere Lehrlingsstudie 2024 zeigt, aktuell so etwa lediglich 12%, dass KI keine Auswirkungen auf ihre persönlichen beruflichen Zukunftschancen haben wird.
  • Rund zwei Drittel der jungen Menschen, die derzeit in einer dualen Ausbildung sind, befürchten hingegen negative Auswirkungen für die persönlichen Berufschancen in dem von ihnen gewählten Beruf.

Auch bei Studierenden beobachten wir Verunsicherung – vor allem bei jenen, die eine Zukunft in Kommunikations-, Wissens- oder Kreativ-Berufen anstreben. Dass KI gerade hier die arbeitsmarktrelevanten Skills neu definieren wird, davon gehen junge Menschen aus. Die Frage ist nur, was das für sie konkret bedeutet. Und auch: Ob ihr Studium sie dafür ausreichend rüstet.

Selbst wenn Lehrpläne gleich heute aktualisiert würden und beispielsweise ab sofort ein Basismodul Prompt-Engineering in jedem Studienfach Standard wäre, ist angesichts der dynamischen Entwicklungen im Bereich der KI-Tools nicht sicher, ob die heute Studierenden ihre im Rahmen dieser Lehrveranstaltungen erworbenen Kompetenzen dann, wenn sie mit dem Studium fertig sind, wirklich noch brauchen werden.

Um es auf den Punkt zu bringen

KI fasziniert die Jugend, aber sie verstört die jungen Digital Natives irgendwie auch. Erstmals, und das ist neu, fühlen sich Digital Natives von dynamischen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung überrollt.

Jugendliche wissen, dass die Künstliche Intelligenz unser Leben nachhaltig verändern wird. Die Auswirkungen, die KI auf die Zukunftschancen der nachrückenden Generation haben wird, aber auch Herausforderungen, die KI für unsere Gesellschaft mit sich bringt, sind derzeit noch nicht wirklich einschätzbar. Am Jobmarkt, auf dem sich die Generation Z bewegen und bewähren muss, sind KI-Kompetenzen aber schon heute enorm nachgefragt. Und vor allem in Wissens- und Kreativberufen wird vielfach bereits vorausgesetzt, dass sich Berufseinsteiger und Berufseinsteigerinnen mit KI-Tools auskennen und sie effizient, sprich: im Sinne der Zeit- und Kostenersparnis nutzen.

AUTORINNEN-INFO: Dr. Beate Großegger – Institut für Jugendkulturforschung
BLOG: die_jugendforscherin: beate großeggers blog – alle Beiträge zum Nachlesen