die_jugendforscherin: Beate Großeggers Blog
Die Statistik Austria weist für den jüngsten Erhebungszeitraum 37 899 weibliche gegenüber 78 847 männlichen BerufschülerInnen aus. Junge Frauen, die sich für eine Ausbildung im dualen System entscheiden, sind nach wie vor in der Minderzahl. Oder um es schärfer zu formulieren: Die Lehre ist in Österreich noch immer eine männliche Domäne.
Das Bild von weiblichen Lehrlingen, das die öffentliche Debatte beherrscht, reproduziert darüber hinaus allzu oft Klischees. Entweder zeigt man junge Frauen, die über sich selbst sagen, sie seien „kein Lerntyp“, und mangels Unterstützung in der Berufsorientierungsphase dann „nur“ Friseurin werden. Oder aber es werden junge Mechatronikerinnen ins Bild gesetzt, die sich in einem männlich dominierten Bereich erfolgreich behaupten. Alles, was zwischen diesen beiden Extremen liegt, ist wenig präsent.
Ich denke, es wäre an der Zeit, diese Lücke zu schließen, und möchte Ihnen in meinem aktuellen Blogbeitrag zum Tag der Arbeit am 1. Mai daher ausgewählte Forschungsdaten zu jungen Frauen in der dualen Ausbildung vorstellen. Wobei eines zu betonen ist: Die Arbeitswelt hat Bedarf an qualifizierten jungen Menschen mit Lehrabschlüssen. Auch und gerade deshalb ist es sinnvoll, gängige Lehrlingsklischees zu überdenken und sich möglichst vorurteilsfrei mit Potentialen, vor allem aber auch mit den Erwartungen junger Frauen in Bezug auf die duale Ausbildung näher zu beschäftigen.
Junge Frauen, die sich für die duale Ausbildung entscheiden, streben eine solide Basis für ihre persönliche Zukunftsplanung an
Eine gute Berufsausbildung zu haben, ist für die breite Mehrheit der jungen Frauen heutzutage eine Selbstverständlichkeit. Fast jede macht sich in der einen oder anderen Form darüber Gedanken, in welchen Berufsfeldern sie gute Zukunftschancen hat, aber auch mit welcher Ausbildung sich ihre persönlichen Erwartungen an den Beruf am besten verwirklichen lassen.
Gerade in Zeiten der Krise ermöglicht die Lehre ein stabiles berufliches Standbein. Das ist jungen Frauen, die sich für eine Lehre entscheiden, sehr wohl bewusst. Sie sehen in der Lehre durchaus auch eine Karriere-Option: insbesondere in der „Lehre mit Matura“.
Die „Lehre mit Matura“ eröffnet Chancen
Wie unsere Forschungsdaten zeigen, wird die „Lehre mit Matura“ von weiblichen Lehrlingen positiver bewertet als von männlichen Lehrlingen, und zwar unabhängig davon, ob junge Frauen selbst eine „Lehre mit Matura“ machen oder nicht (Insights Premium-AbonnentInnen finden im kostenpflichtigen Insights Premium-Portal zur „Lehre mit Matura“ ein neues Factsheet Insights Premium-Facts 2024: Wie Lehrlinge die „Lehre mit Matura“ bewerten mit Detaildaten im Vergleich nach Geschlecht, Branche und Wohnregion der Lehrlinge).
- Unsere Lehrlingsstudie 2024 Generation „Safety First“ weist für die Gruppe jener weiblichen Lehrlinge, die die klassische Variante der Lehre gewählt haben, erstaunlich hohes Interesse für die „Lehre mit Matura“ aus: 67% der weiblichen Lehrlinge, die aktuell eine Lehre ohne Matura machen, geben an, die Möglichkeit, eine „Lehre mit Matura“ zu machen, sei für sie persönlich grundsätzlich interessant, natürlich vorausgesetzt, dass es ein entsprechendes Angebot gibt.
Warum die „Lehre mit Matura“ für junge Frauen eine attraktive Option ist, liegt auf der Hand. Sie bietet die Chance, sich nach dem Lehrabschluss berufs(lebens)begleitend formal weiterzuqualifizieren, um in interessante und idealerweise auch besser bezahlte Bereiche aufzusteigen.
Wie weibliche Lehrlinge ihre Lehrbetriebe sehen
In der öffentlichen Debatte ist sehr stark präsent, was Unternehmen von Lehrlingen erwarten, und auch, wie diese die nachrückende Lehrlingsgeneration einschätzen und bewerten. Wir haben den Spieß umgedreht und uns in unserer Lehrlingsstudie Generation „Safety First“ angesehen, wie Lehrlinge über ihre Lehrbetriebe denken. Dabei haben wir uns u.a. auch damit beschäftigt, wie sie die Arbeitsbedingungen im Lehrbetrieb, das Betriebsklima, die ihnen im Rahmen der Lehre zugeteilten Tätigkeiten oder auch ihre beruflichen Zukunftschancen bewerten.
Interessant in diesem Zusammenhang: Weibliche Lehrlinge tendieren zu höherer Arbeitszufriedenheit als männliche Lehrlinge. Darüber hinaus zeigt sich, dass weibliche Lehrlinge im Alltag wie auch im Hinblick auf ihre Berufsausbildung in mancherlei Hinsicht fokussierter agieren.
- Rund ein Viertel der weiblichen Lehrlinge stuft die Arbeitsbedingungen im Lehrbetrieb rundum positiv ein. Weitere 36% beschreiben die Arbeitsbedingungen im Betrieb eher positiv.
- 56% berichten über ein gutes oder zumindest eher gutes Betriebsklima im Lehrbetrieb.
- 50% haben den Eindruck, dass Lehrlinge im Ausbildungsbetrieb nicht nur für Hilfstätigkeiten herangezogen werden, sondern auch verantwortungsvolle Tätigkeiten übertragen bekommen, was das Selbstbewusstsein stärkt und sich auf die Motivation vielfach positiv auswirkt.
- 62% rechnen darüber hinaus mit guten oder zumindest eher guten Zukunftschancen, die sich aufgrund der in der Lehre erworbenen Qualifikationen für sie ergeben.
Diese Daten stimmen auf den ersten Blick zuversichtlich. Sie sollten uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht alle gleichermaßen zufrieden mit ihrem Lehrbetrieb sind.
So wie es aus UnternehmerInnenperspektive zwischen motivierten und weniger motivierten Lehrlingen zu unterscheiden gilt, gilt es aus Perspektive der weiblichen Lehrlinge offensichtlich auch zwischen lehrlingsgerechten und weniger lehrlingsgerechten Betrieben zu unterscheiden.
Was sich weibliche Lehrlinge von ihrem Beruf erwarten
Fragt man danach, was sich junge Menschen von ihrem zukünftigen Beruf erwarten, fällt auf, dass junge Frauen im Vergleich zu jungen Männern deutlich fordernder auftreten. Jobsicherheit, ein gutes Betriebsklima und nette KollegInnen liegen auf ihrer Wunschliste weit vorne.
Wenn es Probleme am Arbeitsplatz gibt, sind junge Frauen großteils konstruktiv und versuchen, im Gespräch mit ihren TeamleiterInnen und/oder Personalverantwortlichen eine Lösung zu finden. Das zeigt sich auch in der dualen Ausbildung. Weibliche Lehrlinge sind nicht nur generell dialogorientierter als ihre männlichen Kollegen, sie sind auch sozial-kommunikativ kompetenter und zeigen sehr oft eine betont pragmatische Haltung frei nach dem Motto: „Reden wir mal darüber, dann lassen sich gemeinsam Wege finden!“
Das klingt freilich einfacher, als es tatsächlich ist. Junge Frauen sind nämlich zugleich auch kritische Beobachterinnen der Personalführung und haben hohe Erwartungen an ihre Führungskräfte, insbesondere was kommunikative Kompetenzen und Management-Skills betrifft.
Grundsätzlich gilt: Weibliche Lehrlinge wollen geführt werden, sie wollen von ihren Führungskräften aber auch gehört werden!
Das sollten wir wissen, wenn wir über junge Frauen in der dualen Ausbildung sprechen. Und wir sollten darüber hinaus auch sehen, dass viele weibliche Lehrlinge, gerade wenn es um Erwerbsarbeit und Beruf geht, emotional sehr nahe an den uns alle beschäftigenden Zukunftsthemen dran sind: angefangen beim Thema „Fortbildung und lebensbegleitendes Lernen“, über betriebliche Gesundheitsförderung bis hin zu lebensphasensensitiven Konzepten der Life-Domain-Balance. In all diesen Bereichen gilt es, jungen Frauen, die sich für die Ausbildung im dualen System entscheiden, ein attraktives Angebot zu machen.
AUTORINNEN-INFO: Dr. Beate Großegger – Institut für Jugendkulturforschung
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Mehr zum aktuellen Thema:
In unserer Studie Generation „Safety First“ finden Sie etliche weitere interessante Daten zur nachrückenden Lehrlingsgeneration. Zudem bleiben wir in unserer laufenden Exploration „Fachkräfte von morgen: Arbeitszufriedenheit, betriebliche Gesundheitsförderung und KI aus lebensweltlicher Sicht von Lehrlingen und LehrabsolventInnen“ weiter an diesem für junge Menschen wichtigen Thema dran.
Sekundäranalysen und Expertisen:
Im Rahmen unserer Eigenstudien erheben wir kontinuierlich Repräsentativdaten zu Kids, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Daten liegen in ausführlichen Datentabellen vor und werden von uns im Rahmen unserer Forschungsprojekte auch für statistische Sonderauswertungen herangezogen.
Mit diesen Exklusivdaten des Instituts für Jugendkulturforschung schaffen wir eine wichtige Grundlage, um ein differenziertes Verständnis verschiedener Dialog- und Zielgruppenbedürfnisse innerhalb des jungen Bevölkerungssegments zu entwickeln. Selbstverständlich fließen diese Exklusivdaten in sämtliche Sekundär(daten)analysen und Expertisen, die wir für unsere AuftraggeberInnen erstellen, ein.
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