die_jugendforscherin: beate großeggers blog – 4.6.2024

Europawahl 2024: Was sagen Jungwählerinnen und Jungwähler zur EU?

Was halten junge Menschen vom geeinten Europa? Wie sehen sie die EU? Und was erwarten sie von der Europapolitik? Wie so oft vor Wahlen rückt anlässlich der Europawahl 2024 die Gruppe der Jungwählerinnen und Jungwähler in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Viel wird spekuliert – kein Wunder, denn die Datenlage ist eher dürftig.

Weil das unbefriedigend ist, möchte ich mein Blog nutzen, um mit unseren Forschungsdaten hier ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Zunächst zur Frage: Was verbinden junge Menschen überhaupt mit der EU?

Was uns die empirische Jugendforschung über das Europabild der Jungwählerinnen und Jungwähler verrät

Das Europabild junger Menschen in Österreich ist sehr stark von den Annehmlichkeiten, die die EU-Mitgliedschaft mit sich bringt, bestimmt. Jungwählerinnen und Jungwähler verbinden allem voran den Euro, die Reisefreiheit und die Freizügigkeit, sprich: die Möglichkeit in einem anderen Land der EU zu leben, zu studieren oder zu arbeiten, mit einem geeinten Europa.

Vor dem Hintergrund komplexer Herausforderungen unserer globalisierten Welt sehen junge Menschen die EU aber auch als ein wichtiges Wirtschafts- und Friedensbündnis. Und sie hoffen, dass die EU auch in schwierigen Zeiten, wie wir sie derzeit erleben, ihr Wohlstands- und Sicherheitsversprechen gegenüber der nachrückenden Generation einlösen wird.

Eine klar pro-europäische Haltung ist typisch für formal höher Gebildete. In bildungsnahen Milieus bewerten junge Menschen die EU generell positiver und haben deutlich stärker das Gefühl, von der EU-Mitgliedschaft Österreichs persönlich zu profitieren.

  • Euro, Reisefreiheit, Freizügigkeit und auch Erasmus+ punkten hier stärker als in den unteren Bildungsgruppen. Bildungsnahe junge Menschen sehen die EU auch deutlich stärker als wichtigen Player in einer globalisierten Wirtschaft und sie assoziieren mit der EU zu einem höheren Prozentsatz ein Friedensbündnis, und zwar in dem Sinne, dass im geeinten Europa Frieden nach innen gewährleistet sein muss, aber auch, dass dieses geeinte Europa bei den großen geopolitischen Konflikten unserer Zeit nach außen hin friedensvermittelnd auftritt.
  • Bei jungen Menschen aus den unteren Bildungsschichten ist hingegen die Sorge um den Verlust des typisch Österreichischen ein deutlich größeres Thema. In der Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit niedriger und mittlerer formaler Bildung assoziiert knapp jeder und jede Vierte einen Verlust der österreichischen Kultur mit der EU.

Was junge Menschen an der EU stört

Überall dort, wo junge Menschen von der EU profitieren, erleben sie das geeinte Europa positiv. Der EU als politischer Institution begegnen viele dennoch mit einer gewissen Skepsis. Der Vertrauensverlust, der sich im Zusammenhang mit Institutionenpolitik heute generell zeigt, schlägt also auch bei der EU durch:

  • 26 Prozent verbinden die EU mit (zu viel) Bürokratie.
  • Jeder und jede Fünfte (20 Prozent) denkt bei der EU an Vetternwirtschaft und Korruption, wobei man hier sehen muss, dass die Bewertung der jungen Männer (mit 27 Prozent Nennungen) deutlich kritischer ausfällt als die junger Frauen (13 Prozent).  
  • Nur 15 Prozent verbinden die EU mit politischen Entscheidungen, die für die österreichische Bevölkerung von Nutzen sind (besonderes kritisch bewerten die unteren Bildungsmilieus die EU-Politik: Hier sagen lediglich 10 Prozent, also jeder und jede Zehnte, dass politische Entscheidungen, die auf EU-Ebene getroffen werden, für die Menschen in Österreich von Nutzen sind; zum Vergleich: In der Gruppe der jungen Österreicherinnen und Österreicher mit höherer formaler Bildung sind es immerhin 21 Prozent).
  • Was vor dem Hintergrund der multiplen Krisen, die wir derzeit erleben, darüber hinaus nachdenklich stimmt: Nur 11 Prozent attestieren der EU eine schnelle Entscheidungs­­findung in Krisensituationen.

Wie junge Menschen das geeinte Europa erleben und wie sie die „europäische Idee“ in ihren Selbstkonzepten verankern

Wenn es um das Thema „Jugend und Europa“ geht, werden junge Menschen häufig gefragt: „Fühlst du dich eher als Europäer/Europäerin oder eher als Österreicher/Österreicherin?“ In Zeiten der wirtschaftlichen wie auch kulturellen Globalisierung empfinden das Jugendliche und junge Erwachsene als realitätsfern. Sie sind in einem EU-Land geboren, mit dem Euro und der Reisefreiheit aufgewachsen und sie orientieren sich an einer, zumindest in der westlich-industriellen Welt, globalisierten Jugendkultur.

Die breite Mehrheit ist geübt darin, das Große, sprich: das Globale oder auch das Europäische, mit dem Kleineren, dem Regionalen bzw. Lokalen zu verbinden. Vor allem die bildungsnahen Milieus spielen selbstbewusst mit Hybridkulturen. Das heißt, hier wird bunt gemixt. Und diejenigen, die das nicht tun? Die finden es gut, wenn in einem Europa der Vielfalt Unterschiedliches nebeneinander bestehen kann.

Das wirtschaftliche Nord-Süd-Gefälle innerhalb der EU sehen junge Menschen in Österreich durchaus kritisch. Unterschiedliche kulturelle Traditionen wie auch Mentalitätsunterschiede in der Bevölkerung der verschiedenen EU-Länder erleben sie aber weitgehend unproblematisch. Und vor allem jene, die aufbrechen, um Europa selbst zu erkunden, finden diese Mentalitätsunterschiede horizonterweiternd und interessant.

Austausch und Gemeinschaft sind übrigens vor allem für junge Menschen aus den bildungsnahen Schichten Kernelemente der „europäischen Idee“.

Was sich Jungwählerinnen und Jungwähler von der Europapolitik erwarten

Bleibt noch die Frage, was sich junge Menschen von den europapolitischen Akteurinnen und Akteuren erwarten bzw. erhoffen. Auch dazu haben wir spannende Daten.

Geht es nach der Jugend, sollte die Europapolitik ihren Fokus auf Armutsbekämpfung in Europa legen, gemeinsame Maßnahmen für den Klimaschutz setzen, sich für die Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität in Europa stark machen, aber auch Arbeitsplätze schaffen, um der nachrückenden Generation in Zeiten des Strukturwandels der Arbeitswelt weiterhin gute Jobchancen zu bieten. Auch Energiesicherheit im Kontext gemeinsamer Energiepolitik sowie Cybersicherheit wären aus Sicht Jugendlicher und junger Erwachsener wichtige Themen, derer sich die EU-Politik annehmen sollte.

Der Schutz der EU-Außengrenzen und eine gemeinsame Migrationspolitik liegen im Prioritäten-Ranking der Jugend immerhin im Mittelfeld und sind, wie die Daten zeigen, jungen Menschen aus den unteren Bildungsschichten insgesamt wichtiger als Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den bildungsnahen Milieus.

Lässt man Jungwählerinnen und Jungwähler eine Wunschliste an die EU-Politik erstellen, platzieren sie zwei Anliegen ganz weit oben:

  • Die EU soll ihr Wohlstands- und Sicherheitsversprechen gegenüber der nachrückenden Generation einlösen – das ist freilich weniger Wunsch, eher eine selbstbewusst vorgetragene Forderung –
  • und sie soll (mehr) europäischen Teamgeist bei der Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit beweisen; das bedeutet, eine risikoabwägend-vorausschauende Politik zu machen und im Krisenfall rasch und effektiv zu agieren.

Darüber hinaus wünschen sich junge Menschen, dass die EU den Dialog mit der Jugend intensiviert und vor allem auch die wachsende Gruppe der politik-distanzierten Jugendlichen besser einbindet. Und sie hoffen darauf, dass die Europapolitik die digitale Zukunft Europas proaktiv und zum Nutzen der Menschen gestaltet (Stichwort: KI).

Was aus Sicht junger Menschen auf jeden Fall so bleiben sollte, wie es ist: die gemeinsame Währung, die Reisefreiheit und die Möglichkeit, in einem anderen Land der EU zu leben und zu arbeiten.

AUTORINNEN-INFO: Dr. Beate Großegger – Institut für Jugendkulturforschung
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