die_jugendforscherin: Beate Großeggers Blog
Kürzlich hat ein junger, engagierter Journalist für ein Interview zum Thema „Jugend und Politik“ bei mir angefragt. Ich habe ihm abgesagt, und zwar mit der Begründung, dass ich aktuell nicht (mehr) zu diesem Thema arbeite. Das war keine Ausflucht, sondern stimmt wirklich. Früher habe ich mich eingehend mit Jugend und Politik beschäftigt. Mittlerweile überlasse ich dieses Thema gerne anderen Leuten, vorzugsweise Leuten aus der Politikwissenschaft und Politikberatung. Aber warum eigentlich? Das habe ich mich, nachdem ich meine Absage per Mail abgeschickt hatte, selbst gefragt.
Die Jugenddebatte nervt
Ich empfinde die Debatte rund um Jugend und Politik ermüdend:
- den einen ist die Jugend zu unpolitisch,
- andere wiederum sehen nur das kleine Segment der politisierten Jugend und stoßen sich an deren mangelnder Bereitschaft, pragmatische Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu finden
- und wieder dritte denken, anstatt sich ernsthaft mit dem Verhältnis junger Menschen zur Institutionenpolitik zu befassen, lieber darüber nach, wie man taktisch am geschicktesten ansetzt, um im jungen Wählerinnen- und Wählerteich möglichst viele Stimmen abzufischen.
Das ist aber nur einer der Gründe, warum ich mich derzeit schwerpunktmäßig mit anderen Forschungsthemen beschäftige. Ein zweiter, nicht unwesentlicher Grund, ist, dass sich im Verhältnis der Jugend zur Politik über die Jahre nicht so viel verändert hat, wie man vielleicht vermutet. Die Probleme sind uns in der Jugendforschung vielmehr seit langem bekannt.
Die Politik(er)verdrossenheit junger Menschen ist nicht neu
Über Jahrzehnte hinweg rangiert die Politik, wie die Jugend-Werteforschung zeigt, im Ranking der für junge Menschen wichtigen Lebensbereiche ganz unten. Politik(er)verdrossenheit und Politikdistanz sind bei weitem keine neuen Phänomene. Über Jahre hinweg zeigt sich, dass Jugendliche und junge Erwachsene den Interessenvertretungen, also beispielsweise der Arbeiterkammer oder auch der Wirtschaftskammer, deutlich mehr Vertrauen entgegenbringen als den politischen Institutionen, auf denen unsere Demokratie fußt.
Als anhaltenden Trend beobachten wir darüber hinaus, dass Möglichkeiten zur politischen Beteiligung von jungen Menschen grundsätzlich als wichtig erachtet werden, viele dabei allerdings einschränkend anmerken: „Beteiligungsmöglichkeiten sind wichtig für diejenigen, die mitreden wollen – ich mache das nicht“. Jugendliche differenzieren in Sachen „politische Partizipation“ demnach sehr klar zwischen „Prinzip“ und „persönlicher Praxis“. In der öffentlichen Debatte vermisse ich diesen differenzierten Blick auf Jugendbeteiligung häufig. Dies aber nur als Randnotiz, kommen wir zurück zum eigentlichen Thema.
Das Verhältnis Jugendlicher und junger Erwachsener zur Politik ist ein schwieriges. Und das ist, wie gesagt, nicht neu. Was man allerdings durchaus festhalten kann, ist, dass sich die Sache zuspitzt. Im Klartext heißt das, der Vertrauensverlust gegenüber der Politik wird größer. Die Gruppe der politikdistanzierten Jugendlichen wächst. Der viel beschworene politische Dialog mit der Jugend, den angeblich alle (ver)suchen, ist vor allem aus Sicht der Gruppe der Politikdistanzierten nicht viel mehr als ein populäres Schlagwort in einer Jugenddebatte, die nach wie vor oft über die Köpfe der Jugend hinweg geführt wird.
Die Politik ist für viele Jugendliche „eine Enttäuschung“
Vor allem politikdistanzierte Jugendliche reagieren enttäuscht. Warum das so ist, liegt eigentlich auf der Hand. Junge Menschen haben sehr konkrete Vorstellungen davon, was Politik leisten sollte:
- Die breite Mehrheit sieht die Institutionenpolitik in der Rolle, eine Dienstleistung für die Bürgerinnen und Bürger zu erbringen.
- Sie erwartet sich ein konstruktives Management der großen Fragen und Probleme unserer Zeit.
- Und sie wünscht sich, dass die Politik innerhalb unserer demokratischen Ordnung gute Rahmenbedingungen für das Alltagsleben der Menschen schafft.
Enttäuschung resultiert daraus, dass Wunsch und Wirklichkeit oft weit auseinanderklaffen.
Selbstreferenzielle Systemlogiken fördern die Frustration
Junge Menschen erleben die gesellschaftliche Leistungssphäre der Politik als Bühne für einen nicht enden wollenden Kampf um Deutungshoheit. Und sie stoßen sich daran, dass sich die politischen Akteure und Akteurinnen in diesem Ringen allzu sehr mit sich selbst beschäftigen. Referenzpunkt für ihr politisches Handeln ist nicht, wie es sich Jugendliche und junge Erwachsene wünschen, die Bevölkerung und es sind auch nicht einmal immer die großen Fragen unserer Zeit. Es sind die politischen Mitbewerber und Mitbewerberinnen.
Junge Leute erleben Politik als Karussell, das sich mit enormer Geschwindigkeit um das eigene Zentrum dreht und das, was außerhalb Thema ist, daher meist nur sehr verschwommen wahrnimmt. Dies ist zweifellos ein Problem.
Was also tun? Als Jugendforscherin bekomme ich diese Frage vorzugsweise dann gestellt, wenn die entscheidungsrelevanten Handlungsträger und Handlungsträgerinnen mit ihrem Latein am Ende sind. Aber bin ich wirklich die richtige Adressatin?
Politik neu denken
„Das Problem zu erkennen, ist wichtiger als die Lösung zu erkennen, denn die genaue Darstellung des Problems führt zur Lösung“ – ich muss an einen klugen Satz denken, der Albert Einstein zugeschrieben wird und der mir in meiner Arbeit als Inspiration dient, mit forschender Neugier neue Erkenntnisse zu gewinnen.
Was „Jugend und Politik“ betrifft, haben Jugendforscherinnen und Jugendforscher die Problemanalyse bereits geliefert, und das noch dazu nicht erst gestern. Konsequenzen daraus abzuleiten, um das Verhältnis junger Menschen zur Politik zu verbessern und gemeinsam mit jungen Menschen Politik neu zu denken, scheint mir die Aufgabe anderer zu sein.
AUTORINNEN-INFO: Dr. Beate Großegger – Institut für Jugendkulturforschung
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