Digitale Jugendkulturen gelten seit jeher als Trendsettermilieus.
Am 28.11.2016 stellte der BMWFW-Science Talk mit Dr. Beate Großegger (Institut für Jugendkulturforschung), Prof. Dr. Nestor Kapusta (Medizinische Universität Wien) und Dr. Petra Missomelius (Universität Innsbruck) in der Aula der Wissenschaften die Generation Selfie zur Debatte.
Dr. Beate Großegger thematisierte drei Aspekte am Phänomen „Selfie“, die die Jugend- und Jugendmedienforschung besonders beschäftigen:
- Das Spiel mit Selbstinszenierung, das im Jugendalter und vor allem auch in den Jugendkulturen immer schon Bedeutung hatte, erlangt durch die Möglichkeiten des mobilen Internets und Web 2.0 eine völlig neue Dimension: Die jugendlichen Selbstinszenierungspraxen der „Generation Selfie” sind räumlich entgrenzt, Plattformen wie Instagram schaffen darüber hinaus eine nicht dagewesene Breite der öffentlichen Sichtbarkeit.
- Neu ist auch die Art und Weise der Selbstpräsentation: Während die expressive Jugend früher zum Etablierten auf Distanz ging und all das, was die erwachsene Mehrheit von jungen Menschen erhoffte oder auch als soziale Erwartung an sie herantrug, mit Selbstinszenierungspraxen gern scharf zurückwies, läuft es heute genau umgekehrt: Die „Generation Selfie” setzt nicht mehr ein selbstgebasteltes ideales Selbst gegen das normative Selbst, sondern das normative Selbst wird zum idealen Selbst. Das heißt, es geht um marktgängige Selbstinszenierung, es geht um gezieltes Selbstmarketing, es geht um das Gesetz „Wer nicht auffällt, fällt durch“ und es geht ganz stark auch darum, sich an das Gewohnte und allgemein Gewünschte anzupassen, denn so lässt sich punkten.
- Drittens ist für die Jugendforschung aber auch interessant, wie sich in der „Generation Selfie“ die Weltwahrnehmung und das Erleben verändert. An die Stelle des unmittelbaren Erlebens in all seiner Gefühlsintensität tritt das vermittelte Erlebnis, wobei hier die mediale Vermittlung, also die Tatsache, dass unzählige andere sehen können, was man Tolles erlebt bzw. mit welchen angesagten Leuten man abhängt, den eigentlichen Erlebnisfaktor darstellt. „Pics or it didn’t happen“, so lautet das Motto dieser Generation.
Kommunikationstrend „Pics or it didn’t happen“:
Digitale Jugendkulturen beschäftigen die Jugend- und Medienforschung seit den 1990er Jahre. Mit Techno fand damals die prä-digitale Ära jugendkulturell ein Ende. Raver und Cyberpunks propagierten ein neues, digitales Lebensgefühl. So manche Idee, die damals kursierte, wirkt aus heutiger Sicht reichlich schräg. Jürgen Laarmann, der als Ikone der Technoszene gilt und über Jahre hinweg für das Szenemagazin Frontpage verantwortlich zeichnete, propagierte beispielsweise Antiscanning.
Im Magazin wurde der gesamte Text winzig klein gedruckt, je wichtiger die präsentierten Inhalte, desto kleiner. „Querlesen wurde damit schlichtweg unmöglich gemacht“, so Dr. Beate Großegger, die bereits in den 1990ern zu digitaler Kommunikation in den Jugendkulturen forschte. „Damit wollte man die Leute dazu bringen, sich mit den Texten wirklich auseinanderzusetzen. 1997 verteidigte sich Laarmann gegenüber Kritikern, die meinten, dass das Magazin nur mit Vergrößerungsglas zu lesen sei, mit den Worten: ‚Kultur funktioniert ja letzten Endes so, dass man erst hinter ein paar Dinge kommen muss, damit man dazu auch eine Beziehung hat.’ Heute ist Antiscanning selbst in den spitzesten der spitzen Jugendkulturen kaum mehr vorstellbar, die digitale Jugendkultur spielt auf einer anderen Bühne und sie folgt auch einer völlig anderen Dramaturgie.’“
Die Möglichkeiten des mobilen Internets haben jugendkulturelle Ausdrucksformen massiv verändert. Heute regiert das POIDH-Prinzip: POIDH ist ein Akronym und steht für pics or it didn’t happen. Die Jugend bespielt das Web 2.0 mit via Smartphone festgehaltenen Bildern aus ihrem persönlichen Alltag. Sie trägt alles nach außen, alles wird gezeigt. Was sie erlebt, dokumentiert sie, um es dann gleich in Echtzeit an den eigenen Freundeskreis zu verschicken oder via Upload auf einer Social-Media-Plattform ins virtuelle Schaufenster zu stellen. „Es scheint so, als würde ein Erlebnis für die digitalen Trendsetter der Gegenwart erst dann richtig zählen, wenn Bilder davon veröffentlicht sind, so dass auch andere sehen können, was sie Tolles erlebt haben. Abgesehen davon gilt für diese Generation: Bilder sind einfach persönlicher als Textnachrichten“, so Großegger.
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